Sonntag, 28. Oktober 2012

Das #Refugeecamp und die Staatsgewalt

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Artikel 1 Grundgesetz
Artikel 5 Verfassung von Berlin
In Berlin befinden sich zur Zeit am Brandenburger Tor Asylsuchende im Hungerstreik (zum Hintergrund siehe http://www.refugeetentaction.net), eine Protestveranstaltung, von der ich in erster Linie auf Twitter (#refugeecamp) mitbekomme, da die Presse kaum berichtet.

Die Nächte sind lang, kalt und naß. Die Protestierenden – sowohl die Asylsuchenden als auch die deutschen Unterstützer – nehmen diese Strapazen auf sich, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, um ihre (politische) Meinung zu vertreten, und sie vertreten damit sicher keine grundgesetzfeindlichen oder menschenverachtenden Positionen.

Aufgabe der Staatsgewalt ist, diese Menschen zu schützen. Sie hat dafür zu sorgen, daß ihre Würde gewahrt bleibt, daß sie ihr Recht auf Meinungsäußerung, auf Versammlungsfreiheit1 wahrnehmen können.

Wie handelt diese Staatsgewalt nun? Die Polizei vor Ort beschlagnahmt Isomatten, Schlafsäcke, Regenschirme, alles, was Schutz gegen die Witterung bietet, wohl (genauer hab ich das nicht verstanden2) weil am Pariser Platz Camping verboten ist. Die Aktion ist soweit ich weiß seit mindestens 5. November angemeldet und genehmigt, und auch der Polizei muß klar sein, daß niemand 10 Tage stehend zubringen kann. Diese Beschlagnahmen dienen also offensichtlich dazu, mittels formaler Tricks die Anwesenden zum Aufgeben zu bringen, um nicht selbst räumen zu müssen (was evtl. eine schlechte Presse sowie unangenehme Rechtfertigungen nach sich ziehen würde).

Die Polizei provoziert dabei Gesundheitsschäden. Sie bringt die Protestierenden in eine Situation, in der sie erkranken, wenn sie ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen, gewährleistet also genau dieses Recht nicht.

Ich wünsche mir Polizisten, die ihr Handeln an den Grundrechten und nicht an den politischen Wünschen ihres Innenministers orientieren. Aufgabe der Polizei ist Umsetzung von Recht, nicht von Politik.

Liebe Polizisten,
wie muß ich mich also zwingend verhalten, wenn ich frierende Menschen vor mir habe, die um ihr politisches Anliegen kämpfen?
Zur Erinnerung als kleine Serviceleistung:
  • Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (Art 1 GG, Art 5 VvB)
  • Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (Art 3 GG, Art 10 VvB)
  • Jedermann hat das Recht, innerhalb der Gesetze seine Meinung frei und öffentlich zu äußern, solange er die durch die Verfassung gewährleistete Freiheit nicht bedroht oder verletzt. (Art 14 VvB, ähnlich auch im GG)
  • (1) Die durch die Verfassung gewährleisteten Grundrechte sind für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung verbindlich.
    (2) Einschränkungen der Grundrechte sind durch Gesetz nur insoweit zulässig, als sie nicht den Grundgedanken dieser Rechte verletzen.
    (3) Werden die in der Verfassung festgelegten Grundrechte offensichtlich verletzt, so ist jedermann zum Widerstand berechtigt. (Art 36 VvB)
  • Die Verwaltung ist bürgernah im demokratischen und sozialen Geist nach der Verfassung und den Gesetzen zu führen. (Art. 66 VvB)
  • [Update] Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (1) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen haben die Ordnungsbehörden und die Polizei diejenige zu treffen, die den einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt.
    (2) Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht.
    (3) Eine Maßnahme ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. (§ 11 ASOG Berlin)
Damit sollte die Antwort gar nicht so schwer sein.
Ach ja: Oben ist von Menschen die Rede, nicht von Deutschen oder Berlinern.

[Update 2] Sowohl die Polizeibeamten als auch die Verwaltungsbeamten, die den Auflagenbescheid erlassen haben, haben den folgenden Diensteid geleistet (§23 Landesbeamtengesetz Berlin, Hervorhebungen von mir):
„Ich schwöre, dass ich mein Amt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung von Berlin in Übereinstimmung mit den Gesetzen zum Wohle der Allgemeinheit ausüben und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen werde; so wahr mir Gott helfe."


  1. Das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit ist uns so wichtig, daß die Polizei auch Demonstrationen von irgendwelchen Neonazis schützen muß, deren Menschenbild sicher nicht mehr mit unserem Grundgesetz vereinbar ist.
  2. Mir ist immer noch nicht klar, auf welcher Rechtsgrundlage die Polizei Schlafsäcke und anderes beschlagnahmt. Sie sind weder Waffen (§2 Vers) noch Uniformen (§3 Vers), und die Polizei kann mir doch nicht einfach den Regenschirm wegnehmen, den ich bei mir trage.

5 Kommentare:

  1. Danke für den wie immer fundierten (und völlig richtigen) Standpunkt und welcome back, lapizistik.blogspot.de!

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  2. Ich vermute, das ASOG — http://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeines_Sicherheits-_und_Ordnungsgesetz_(Berlin) — gibt die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen für's Regenschirm wegnehmen her. Sind hier Juristen, die dazu mehr sagen können? Ist ja auch eine interessante juristische Frage. Wenn das nicht geht, könnte man ja auch formal dagegen vorgehen.

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    1. Hatte das ASOG durchgelesen, aber auf die Schnelle nichts gefunden. Eine akute Gefahrensituation wird ja durch die Schlafsäcke und Regenschirme nicht verursacht. Unabhängig davon hab ich den Blogpost oben ergänzt.

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  3. Juristisch wäre zur "Versammlungsfreiheit" noch anzumerken, dass das GG dieses Grundrecht nur für alle "Deutschen" (http://dejure.org/gesetze/GG/8.html) vorsieht. Also eigentlich auch so ein Punkt, der dringend geändert werden müsste, auch wenn die Auslegung des BVerfG da u.U. weitreichender ist.

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    1. Wir haben die Europäische Menschenrechtskonvention, dort finden wir die Versammlungsfreiheit für alle Menschen http://dejure.org/gesetze/MRK/11.html in Artikel 11. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte http://www.ohchr.org/EN/UDHR/Pages/Language.aspx?LangID=ger steht sie in Artikel 20.

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